Obdachlosigkeit 1: Die fünf Geschichten hinter dem Song 
„Da liegt ein Mensch“


Obdachlosigkeit 1: Die fünf Geschichten hinter dem Song 
„Da liegt ein Mensch“


Mandy

Ihre Kindheit verlebte sie in einem Hochhaus im 12. Stock. Die Schule brach sie frühzeitig ab. Mit ihren Freunden zog sie um die Häuser, sie tranken Bier und träumten davon einmal reich zu sein. Früh lernte Mandy Drogen kennen und konsumierte sie regelmäßig.

Mandy war 16 als sie von zuhause weglief. Ihr Vater war Alkoholiker und schlug sie oft, wenn er betrunken nach Hause kam. Er holte sie auch aus dem Bett und reagierte sich an ihr ab, wie er sagte. Ihre Mutter sagte schon lange nichts mehr, sie hatte Angst vor ihrem gewalttätigen Mann. Über den Missbrauch ihrer Tochter durch ihren Mann sah sie hinweg. Sie war zu schwach, um etwas zu tun.

Vier Jahre lebte Mandy auf der Straße, mal hier, mal da. Gleich zu Beginn ihrer Obdachlosigkeit kam sie mit Heroin in Kontakt, ein Bekannter sagte, dass sie das mal probieren müsse. Seitdem brauchte sie es nahezu täglich.

Ihr Leben erschien ihr immer wertloser. Immer das gleiche Spiel, betteln und stehlen für genau den einen Moment, sich einen Schuss zu geben, um der Realität zu entkommen. 

Sie hatte nie wieder Kontakt zu ihrer Familie.

Eines Abends, kurz nachdem die letzten Angestellten den Lebensmittel-Discounter verlassen hatten, gab sie sich noch einen Schuss.

Sie zog ihre dünne, zerrissene Decke über ihren ausgemergelten Körper. Frierend verlor sie langsam das Bewusstsein.

Sie dachte noch kurz an ihre Oma Rosi. Als sie noch lebte, nahm sie Mandy in den Ferien immer zu sich. Da konnte sie für eine Zeit lang vergessen, was ihr Vater, der Sohn ihrer Lieblingsoma Rosi, ihr angetan hatte.

Wenn Oma noch leben würde, dachte sie – dann schlief sie ein.

Den nächsten Morgen erlebte Mandy nicht mehr.

Bernd

Bernd war Anwalt, sein Studium schaffte er mit Auszeichnung. Schnell bekam er einen Job in einer großen Anwaltskanzlei. Früh bemerkten die Chefs, welch außerordentliche Begabung Bernd hatte.

Stetig stieg er auf und es wurden ihm immer mehr wichtige Mandanten anvertraut.  Einen Prozess nach dem anderen konnte er für die Kanzlei gewinnen.

Er lernte eine fröhliche, hübsche Frau kennen, sie heirateten und bekamen ein Kind. Anfangs fand er es ganz normal, dass sie teure Anschaffungen tätigte, er verdiente ja auch genug.

Irgendwann sagte ihm sein Steuerberater, dass es Unstimmigkeiten geben würde.

Wenig später sollte sich herausstellen, dass seine Frau ein Doppelleben führte. Sie besuchte nie ihre Mutter, wenn sie sagte, dass sie bei ihrer Mutter war. Sie vergnügte sich mit einem jungen mittellosen Künstler, den sie aushielt.

Bernd fiel in ein Loch. Er begann Tabletten zu schlucken, um sich zu betäuben, sein Konsum wurde immer größer.

Er ging zum Psychiater und der bescheinigte ihm eine Depression. Bernd war es gewohnt Erfolg zu haben. Er befand sich in einer Spirale, die ihn immer tiefer nach unten zog.

Ein Jahr lang versuchte man ihm zu helfen. Bernd bekam Angstzustände, entwickelte Phobien, wurde jähzornig und unberechenbar. Alle Freunde wendeten sich von ihm ab. Die Anwaltskanzlei distanzierte sich von ihrem ehemaligen Senkrechtstarter.

Er verlor seinen Job, sein Haus und fast sein ganzes Geld. Seine Frau und sein Kind waren weg.

Sieben Monate lebte er in einem Hotel. Seine Frau hatte vor einem Jahr die Scheidung eingereicht und nun hielt er das Schreiben des Gerichts in Händen. Er war er geschieden, hatte kein Besuchsrecht für sein Kind. 

Er schaffte keine Therapie, sein ganzes Leben schien sinnlos und er stürzte immer tiefer ab. Sein bester und einziger Freund: Whisky und so betrank er sich von morgens bis abends, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat.

Als Bernd kein Geld mehr hatte, landete er auf der Straße und so wurde aus dem talentierten Anwalt Bernd, der eine große Karriere vor sich hatte, ein Obdachloser, der Platte machte.

Die Straße gab ihm ein Stück Sicherheit zurück. Hier wusste er, woran er war. Sie machte ihn ein wenig ruhiger und so konnte er überleben. Er lernte Menschen kennen, über die er sich früher abfällig äußerte. Eines Tages erzählte ihm ein junger Punk, dass es freitags am Bahnhof immer warmes Essen gäbe.

Beschämt ging er am nächsten Tag dorthin. Die Leute waren nett zu ihm – das war für ihn fast noch wichtiger als das warme Essen. Bernd freut sich immer auf freitags. Ein Lächeln huscht ihm übers Gesicht, wenn er die freundlichen Menschen sieht, die ihm zu essen geben und die ihm zuhören. Bernd ist dann fast wieder der alte, glückliche Bernd.

Laura

Sie war Modell, hatte es durch viel Disziplin und Ehrgeiz geschafft an gute Aufträge zu kommen. Sie war beliebt, aber bei Parties einer der ersten Gäste, die sich verabschiedeten, denn sie wollte es weit in ihrem Beruf schaffen und kannte nur zu gut die Abstürze ihrer Freunde.

An diesem Abend blieb sie länger, da die Party im Outback war. Es gab kein Taxi und sie war darauf angewiesen, dass ihr Mitbewohner Max sie nach Hause mitnehmen würde.

Max war zwar betrunken, aber er versicherte ihr, dass er noch fahren könne.

Sie kannte ihn ja schließlich auch schon zwei Jahre. Eigentlich fuhr er immer betrunken noch Auto und es war nie etwas passiert. Trotzdem ist es das erste Mal, dass sie kein Taxi nahm. Morgen hatte sie einen wichtigen Termin und den durfte sie auf keinen Fall verpassen.

Sie verabschiedeten sich von den Gastgebern und fuhren los. Max war ruhiger als sonst, nicht so aufgekratzt. Laura dachte sich nichts dabei und schloss kurz die Augen, weil sie müde war.

Sie sollte 10 Tage später wieder aufwachen. Man hatte sie in ein künstliches Koma versetzt. Max war mit Tempo 180 auf der glatten Landstraße in eine Gruppe Rehe gerast. Beim Versuch auszuweichen prallte sein Sportwagen gegen einen Baum.   

Max war auf der Stelle tot, Laura kam mit vielen Knochenbrüchen in ein Krankenhaus. Ihr Gesicht sah aus wie ein Schlachtfeld.

Da die Landstraße um diese Uhrzeit wenig befahren wird, fand man sie erst Stunden nach dem Unfall.

Wie wertvoll ihre Freundschaften waren, zeigte sich in den Monaten der Reha. Anfangs bekam sie noch Besuch und sie hörte oft, wie schrecklich es wäre, dass sie ihre Karriere nicht mehr weiterführen könne. Ihre Freunde schienen sie trösten zu wollen. Nach kurzer Zeit hörten die Besuche auf.

Eine Krankenschwester bekam auf dem Flur mit, wie sich zwei Freundinnen über Laura unterhielten: „So schrecklich, wie sie aussieht, kann man sich mit ihr nicht mehr blicken lassen“. „Schade um sie, aber ihr Gesicht kann man nicht mehr Gesicht nennen“. Kichernd verließen die beiden Models das Krankenhaus.

Niemand ging mehr ans Telefon, keiner hatte Zeit für Laura.

Laura verlor den Halt im Leben und landete auf der Straße. Hier hatte sie das Gefühl, dass nicht die äußeren Werte zählen. Sie hat sich auf das neue Leben eingelassen und einen neuen Weg eingeschlagen.

Der Bahndamm ist ihr neues Zuhause. Sie hat nie wieder in den Spiegel gesehen, warum auch, das zählt hier nicht.

Maria

Maria führte ein ganz normales Leben. Ihr Mann Andreas hatte eine kleine Getränkehandlung. Sie waren bereits 8 Jahre glücklich verheiratet, dann bekamen sie einen Sohn. Die kleine Familienwelt schien in Ordnung zu sein.

Dann hatte Andreas einen schrecklichen Arbeitsunfall. Andreas wurde zum Pflegefall und Maria versorgte ihn so gut sie konnte. Der Zustand von Andreas wurde immer schlechter und er verstarb acht Monate später, an einem Sonntagnachmittag.

Andreas war bereits sechs Jahre tot. Es war Sommer, Sonntagmittag. Ihr Sohn Ben war ihrem Mann wie aus dem Gesicht geschnitten.

Jeden Tag erinnerte sie Ben an ihren Mann. Ben war auch genauso fröhlich, wie Andreas es immer war.

Ben ging an diesem Tag mit Freunden baden, am Baggersee, wo sie jeden Sommer waren. Marion ging es an diesem Tag nicht so gut und so blieb sie zuhause. Sandra, ihre beste Freundin betreute Ben und seinen Freund John.

Maria legte sich hin und schlief ein, sie schlief tief und fest. Es klingelte an der Tür und sie freute sich auf ihren Sohn. Vor der Tür standen jedoch zwei Polizisten und sagten ihr, dass ihr Sohn und ein weiterer Junge beim Baden ertrunken seien.

Marias Welt brach zusammen und kein Mensch konnte sie beruhigen, sie fing an ihren Schmerz in Alkohol zu ertränken und hörte nicht mehr auf.

Keiner kam mehr an sie ran. Alle Versuche mit ihr zu sprechen, ihr nahezulegen eine Therapie zu beginnen, scheiterten.

Maria konnte nicht mehr in ihrem Haus leben. Alles war ihr egal. Sie lebte die nächsten vier Monate auf der Straße. Sie wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden und ihrem Mann und ihrem Kind folgen.

Maria setzte ihren Plan in die Tat um. Sie starb an einer Alkoholvergiftung, still und heimlich, mit einer Flasche Wodka im Arm. Man fand ihren leblosen Körper am Grab ihres geliebten Mannes Andreas und ihres Sohnes Ben.

Kalle

Jeder, der abends von seinem Einkaufsbummel durch den Park zurück in die Wohngegend läuft, ist ihm schon mal begegnet; Kalle, dem Mann auf der Parkbank. 

Im Sommer wie im Winter, immer liegt er da mit seinem schmuddeligen Parka. Sein Hab und Gut passt in den Einkaufswagen neben ihm. Er wurde schon unzählige Male bestohlen, aber da er als Kind von einem Hund gebissen wurde, würde er sich nie einen zulegen.

Man weiß zwar, dass er Kalle heißt, aber nicht wer er ist, woher er kommt und wie lange er schon auf der Straße lebt. 

Kalle ist immer freundlich, obwohl er nie spricht. Tagsüber begegnet man ihm hier nie. Mehr weiß man von Kalle nicht.

Da liegt ein Mensch – Official Video | Obdachlosigkeit: Zeit sich umzudrehen

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Obdachlosigkeit: Da liegt ein Mensch – Songtext

Text: Andrés Balhorn
Musik: Andrés Balhorn
POWERVOICE Production

Es ist kalt, die dünne Decke hält nicht warm
Sie friert und zittert am ganzen Leib
Ein letzter Schuss noch, dann bricht die Nacht herein
Am nächsten Morgen ist ihr junges Leben vorbei

Er war Anwalt, alles lief nach Plan
Dann legte eine Depression sein Leben lahm
Jeden Freitag, strahlt er, weil es Essen gibt
Und er freitags echtes Leben in sich spürt

Da liegt ein Mensch auf einer Bank
Und er sieht einsam aus und krank
Doch keiner weiß, warum er hier ist und seit wann
Wir geh´n vorbei und sagen nichts
Weil es bequemer für uns ist
Lass mich in Ruh, ich hab´ genug mit mir zu tun

Sie war Modell, groß im Geschäft
Dann hat ein Unfall sie ganz fürchterlich entstellt
Plötzlich waren alle ihre Freunde weg
Egal, am Bahndamm kostet Miete kein Geld

Wenn alles Scheiß egal ist, fließt der Alkohol
Tagein, tagaus, das ist dann ganz normal
Als ihr Kind noch lebte, trank sie niemals einen Schluck
Gestern starb sie mit einer Flasche im Arm

Da liegt ein Mensch auf einer Bank
Und er sieht einsam aus und krank
Doch keiner weiß, warum er hier ist und seit wann
Wir geh´n vorbei und sagen nichts
Weil es bequemer für uns ist
Lass mich in Ruh, ich hab´ genug mit mir zu tun

Jeder trägt sein Päckchen
Das kann ich gut versteh´n
Doch was hindert dich daran, dich einmal umzudreh´n
Einfach mal die Augen – auf – ein liebes, nettes Wort
Dann wirst du uns finden, an manch unwirklichem Ort

Da liegt ein Mensch auf einer Bank
Und er sieht einsam aus und krank
Doch keiner weiß, warum er hier ist und seit wann
Wir geh´n vorbei und sagen nichts
Weil es bequemer für uns ist
Lass mich in Ruh, ich hab´ genug mit mir zu tun

Da liegt ein Mensch auf einer Bank
Und er sieht einsam aus und krank
Doch keiner weiß, warum er hier ist und seit wann
Wir geh´n vorbei und sagen nichts
Weil es bequemer für uns ist
Lass mich in Ruh, ich hab´ genug mit mir zu tun

Hilfe-Nummern für Obdachlose

Wenn die Kälte einbricht, und du Hilfe für Obdachlose in deiner Stadt holen willst, wähle diese Nummern:

Berlin: 0178/523 5838
Hamburg: 040/401 782 15
München: 089/200 045 930
Köln: 0221/259 742 44
Frankfurt: 069/431 414
Stuttgart: 0711/ 219 547 76
Im akuten medizinischen Notfall gilt immer die 112!

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Obdachlosigkeit 2: Aus Sicht einer Betroffenen Familie | Die Geschichte von Pascal

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Andrés Balhorn

Owner and Founder bei POWERVOICE
Andrés Balhorn ist POWERVOICE Gründer, Vocal Coach Ausbilder, Rocksänger, Produzent und Komponist. Seit 1987 ist er als Dozent ein Vorreiter für modernen für Rock/ Pop Gesangsunterricht. Sein 1996 im GERIG Verlag erschienenes Buch POWERVOICE avancierte zum Fachbuchbestseller und ist mittlerweile in der 14. Auflage. Mit mehr als 600 gegebenen Workshops ist er einer der erfahrensten Vocal Coaches in Europa.

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