Sängerausbildung in Stuttgart – Teil 5 – September 2016
POWERVOICE Sängerausbildung in Stuttgart
Ausbildungseinheit 5 vom 10. – 11.09.2016
Sängerausbildung Einheit Nr. 5 – und ich trau mich diesmal gar nicht hin. Schließlich hab ich den anderen eine unliebsame Hausaufgabe eingebrockt, als ich Andrés fragte, ob wir „auch mal Chansons machen“ könnten. Schon im Vorfeld gab es Ratlosigkeit und viel Kopfzerbrechen auf den diversen Online-Kanälen der Azubi-Gruppe.
Experiment Chanson
Was hab ich nur getan? Ich glaube, Caroline hasst mich jetzt. Sie hat sich die englische Version von „La vie en rose“ ausgesucht, aber sie strahlt beim Singen mit jeder Faser Unbehagen aus. Mit diesem Genre könne sie einfach nichts anfangen, erklärt sie. Ganz so einfach ist es dann wohl doch nicht. Auch bei anderen Songs ist fühlbar, wie kritisch sie sich selbst gegenüber eingestellt ist, dass sie ständig reflektiert und innerlich kritisiert, was sie gerade tut. Verdammte Selbstkontrolle. Das kennen wir ja alle. Einfach mal loslassen, genießen, was man tut, sich ausprobieren – wenn das so einfach ginge. Auch mal Songs aus Genres, die einem ganz fremd sind, sich zu eigen machen. Abends bei der Open Stage beruhigt sich mein schlechtes Gewissen dann etwas. Caroline hat losgelassen, und statt der gequälten Version vom Samstag Morgen bekommen wir ein mit glockenklarer Stimme vorgetragenes „La vie“ zu hören, das auf wunderbare Weise die Atmosphäre im Paris der 30er Jahre heraufbeschwört.
Petra und Matthias haben ein bisschen geschummelt, ihre Songs sind keine Chansons im strengen Sinne. Aber sie produzieren auch jeweils ganz eigene Aha-Effekte. Petra singt eine tolle Jazz-Nummer – „Baby I’m a fool“ von Melody Gardot – und wir lernen eine ganz neue, sehr schöne Facette an ihrer Stimme kennen, statt Kraft und Kernigkeit nun Zartheit und Weichheit. Matthias hat sich Reinhard Meys „Über den Wolken“ angenommen. Das Glück ist ihm hold, denn online gibt es nur das Playback zu der Samba-Version von Dieter Thomas Kuhn. Und so wird dann wieder mal ein Partykracher draus, bei dem Matthias den Gute-Laune- und Bühnenspaß-Faktor voll ausreizen kann. Der Song ist natürlich gleich gesetzt für die abendliche Open Stage.
Ich bin nicht ganz zufrieden mit dem Ausgang meines Chanson-Experiments, und so bestehe ich dann noch auf einer Fassung im Reinhard-Mey-Style. Matthias begleitet sich zunächst selbst auf dem Keyboard, doch stimmlich hat das noch nicht den gewünschten Effekt. Schließlich setzt sich Andrés an die Tasten und spielt den Song sehr weich – und prompt bekommt auch Matthias’ Stimme eine unglaubliche Offenheit und Wärme, vor allem in den tiefen Lagen.
Wohin mit der Emotion
Zugegeben, ich selber bereue mein vorwitziges Ansinnen mittlerweile. Chansons sind nämlich auch nicht meins, aber ich wollte einen ganz bestimmten singen: „Göttingen“, den die Französin Barbara 1964 nach einem Besuch in dem niedersächsischen Städtchen geschrieben hat (in einer französischen und einer deutschen Fassung) und der zu einer Hymne der deutsch-französischen Völkerverständigung wurde. Dieses Lied hat für meine Familie viele persönliche Bezüge, es erzählt unter anderem vom „Märchen unsrer Kindertage“, denn wir durften als Kinder viel Zeit bei unseren Großeltern in Göttingen verbringen. Was ich nicht ahnte: dass der emotional ohnehin schon aufgeladene Song noch eine weitere Bedeutung bekommen sollte. „Es wohnen Menschen, die ich liebe, in Göttingen“ singt Barbara, und dazu gehörte dann in den letzten Wochen ein schwerkranker enger Freund von mir.
Wochenlang konnte ich den Song nicht singen, ohne in Tränen auszubrechen, und auch beim ersten Versuch vor meinen Mit-Azubis zitterte meine Stimme mächtig. Am Abend bei der Open Stage ging es dann plötzlich – und trotzdem hatte der Song nichts von seiner Bedeutung für mich verloren. Es war auf wunderbare Weise gelungen, die Emotion in den Song zu integrieren. Für mich die wichtigste Erfahrung an diesem Wochenende.
Die nächste Runde startet auch mit einem kleinen Bühnenexperiment. Jeder darf sein nächsten Song und die Gründe, warum er genau diesen ausgesucht hat, vorstellen. Muss dazu allerdings vor der Gruppe stehen. Diese Zwangstrennung von unserer Lümmel-Couch tut gut, die Mini-Vorträge sind plötzlich viel ansprechender und interessanter. Die Konsequenzen von Andrés’ Forderung „Sei spannend!“ werden uns so noch mal eindrücklich vor Augen geführt.
Die eigene Stimme finden
Ach ja, auch kein neues Thema. An diesem Wochenende wird mir noch einmal klarer, wie wichtig es ist, verschiedene Genres, Stilistiken, Stimmen auszuprobieren und nachzuahmen. Meine Spannbreite ist diesmal vermutlich auch rekordverdächtig, von Genesis bis Goldfrapp ist alles dabei. Wobei Alison Goldfrapp anscheinend doch besser zu meiner Stimme passt als Peter Gabriel. Dabei war „Happiness“ doch eigentlich nur ein Song, um Technik zu üben …
Petra hat sich an „Proud Mary“ von Tina Turner gewagt, möchte es allerdings dann doch lieber softer im Stil der Original-Interpreten Creedence Clearwater Revival singen. Das Publikum plädiert allerdings eindeutig für „nice and rough“. An der rauhen Stimme muss sie noch etwas arbeiten, aber Petras „rough“ ist so derart charmant, dass es das geflügelte Wort des Wochenendes wird. Caroline überrascht uns mit „Material Girl“ von Madonna. Wow, der Song steht ihr! Vom Flur aus gehört kann ich ihn fast nicht vom Original unterscheiden. Wir sind nun höchst gespannt auf das Punk-Cover, das sie uns versprochen hat.
Bericht vom Forschungsprojekt Mainstream
Ich höre die treuen Leser förmlich mit den Füßchen scharren, denn vermutlich könnt Ihr es gar nicht erwarten, von meinen Erfahrungen mit den Teppichkrabblern zu hören. Um es kurz zu machen: aus der Interpretation von „Carpet Crawlers“ eine Bühnenshow zu machen, ist mir geglückt. Im Repertoire bleibt Genesis trotzdem nicht. Ein Freund formulierte ganz entwaffnend, das Original gefiele ihm doch besser, und dem kann ich mich nur anschließen. Gelernt habe ich allerdings ungeheuer viel bei der Erarbeitung dieses Songs.
Der eigentliche Zweck der Übung, nämlich mehr Mainstream-Songs zu machen, wurde allerdings grandios verfehlt. Nach dem Ausbildungswochenende habe ich gleich erstmal sämtliche Genesis-Alben aus der Progressive-Rock-Phase durchgehört. (Keine Angst, es gibt keinen ProgRock-Song beim nächsten Wochenende!)
Singen, singen, singen
Unser kleines abendliches Konzert treibt Andrés mal wieder zur Verzweiflung. Am Sonntag Morgen fragt er uns recht fassungslos, warum wir eigentlich allesamt bei der Open Stage um Längen besser singen als tagsüber. Seine Forderung: „Ihr müsst singen, singen, singen!“, und konsequenterweise geht es dann ohne lange Feedbackrunde gleich ans Eingemachte. Ein intensives Warm-up, was umso schwieriger ist, da die Hälfte von uns lädiert ist. Das reinste Lazarett. Aber alle kämpfen sich tapfer durch.
Danach kommen einzelne Passagen aus unseren Songs an die Reihe. Eine gefühlte halbe Stunde lang immer die gleichen vier Worte zu singen und das auch noch „trocken“, das heißt, ohne Playback, kann ganz schön zermürbend sein. Glücklicherweise stellen sich bei allen als Lohn der Mühe deutliche Aha-Effekte ein.
Snapchat-Story: Gesangsausbildung Stuttgart – Teil 5
Executive Summary
Ein Service für den eiligen Leser:
- Loslassen. Ständige Kontrolle und kritische Reflexion sind weder für den Sänger noch fürs Publikum angenehm. Spaß haben, Ausprobieren, Spielen dagegen sehr.
- Sich selbst spannend finden und entsprechend auch spannend sein.
- Gefühle zulassen. Ein Song ohne Emotion ist technisch und langweilig. Mit der Zeit gelingt es dann, die Emotion in den Song zu integrieren und die Stimme versagt nicht mehr. Und wenn doch: wen kümmert’s.
- Singen. So viel und so oft wie möglich. Mit einer gescheiten Anlage und mit Mikrofon. Am besten vor Publikum.
Bis bald,
eure Fenja
Anne-Katrin Hillebrand
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